Donnerstag, 26. August 2021

Alltägliches (LXXIII)

Bekommt keinen Stich mehr.

Liebe Mosquitos*innen,

nun bekommt ihr keinen Stich mehr. Seit heute gibt es auf meinem Balkon ein raffiniert gesponnenes Spinnennetz, das euch am Weiterflug in mein Zimmer hindern wird. Mir egal, wie viele eurer Männer zu euren Beerdigungen kommen. Sie hätten besser auf euch aufpassen sollen. 

Wo ich auch gehe, stehe, sitze und liege, sobald ich auf Madeira bin, summt ihr um mich herum. In wenigen Minuten sehen meine Beine und Arme aus wie eine Hügellandschaft, auf meinem Rücken bilden sich sogar kleine Berge, sobald ich mich schlafen lege, bilde ich mir ein, dass ihr von mir mehr Haut fordert. 

Wenn Fliegen um mich herum summen, bis sie auf mir landen, juckt mich das nicht. Ihr wisst schon, warum. Deshalb habe ich mit der Spinne vereinbart, dass wir gemeinsam Fliegen, die ihr ins Netz gehen, gleich wieder befreien. Dieses Entgegenkommen könnt ihr von uns nicht erwarten. 

Man hat mir erzählt, dass Madeira bereits vor Jahren den Kampf gegen euch aufgegeben hat. Aber nun habe ich eine Spinne auf dem Balkon und ihr seid nur noch Mahlzeiten.

Falls ihr mich nicht ernst nehmen solltet, weil ihr in der Überschrift Gender-Sprache vermutet, dann sei euch gesagt: Mit dem Sternchen will ich nur das Wörtchen "innen" betonen.  



Dienstag, 24. August 2021

Alltägliches (LXXII)

So spricht man
in Deutschland

Deutsch noch zu retten?

Bei meinem zweiten Aufenthalt auf Madeira bin ich von einer Russin gefragt worden, wie die aktuellen Standardsprüche junger Leute in Deutschland lauten. Mir fielen "Echt, krass, boah", "Alter, definitiv?" und "Hey, Alter" ein. 

Aus Deutsch könnte aber auch wieder mehr gemacht werden. Dazu müsste man auf die Kinder hoffen, die auf Madeira Deutsch lernen. Diese Kinder müssten nach der Schulzeit nach Deutschland auswandern. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt dürften groß sein. Denn die Konkurrenz beherrscht - siehe oben - die deutsche Sprache heute schon nur noch sehr bedingt und morgen wahrscheinlich noch bedingter. 

Vollständige Sätze mit mehr als fünf Wörtern werden in Deutschland immer seltener verstanden. So habe ich im November vorigen Jahres meine Unfallversicherung auf schriftlichem Wege gefragt, ob ich auch auf Madeira versichert wäre. Da ich darauf keine Antwort bekam, äußerte ich in einem zweiten Schreiben die Vermutung, dass dies nicht der Fall sei. Für diesen Fall teilte ich meine Kündigung mit. Ende Dezember bedauerte meine Versicherung meine Kündigung. Dass ich deshalb davon ausging, dass ich seit meinem Umzug nicht mehr versichert bin, stieß inzwischen bei meiner Versicherung auf mangelndes Verständnis. 

Nun werden Kinder, die derzeit auf Madeira Deutsch lernen, wahrscheinlich einwenden, dass sie nicht in Deutschland arbeiten möchten, weil es auf der Insel viel schöner ist, aber welche Alternative hätten sie in sagen wir einmal zehn Jahren, wenn sie das Gelernte anwenden wollten? Führungen mit Engländerinnen und Engländern machen, die ebenfalls Deutsch gelernt haben? 


Montag, 23. August 2021

Alltägliches (LXXI)

Hier stellt mein Nachbar
seine Wäsche aus.
Foto: Heinz-Peter Tjaden

Todeskampf auf fröhlicher Insel

Dies ist der zweite Bericht über unsere Wohngemeinschaft (drei Frauen, drei Männer, der Professor wohnt schon lange nicht mehr bei uns). Das Haus hat zwei Stockwerke, oben wohnt eine ältere Dame, mein Balkon-Nachbar ist ein junger Mann (grußloser Künstlertyp, niemand geht an den anderen schneller vorbei als er, alle trocknen ihre Wäsche auf dem Hof, er auf seinem Balkon). 

"Die Wände sind wie aus Pappe", hat gestern Abend in einem Fernsehkrimi eine Frau zu einem Mann gesagt. "Man hört hier jedes Geräusch." Diese Pappe ist auch bei unserem Haus verwendet worden. Besonders gut hört man jedes Geräusch aus dem Treppenhaus. 

Auch eines Morgens. Jemand röchelt. Die ältere Dame aus dem ersten Stock? Ich greife nach meinem Handy. Die Notrufnummer in Portugal lautet 112. Ich öffne meine Zimmertür. Mein Daumen berührt schon die 1. Doch das Röcheln kommt gar nicht aus dem ersten Stock.  Das Röcheln kommt aus dem Smartphone meines Balkon-Nachbarn.  Der Tod der Sängerin ist wohl nicht mehr zu vermeiden. 

Bei den Opern, die ich kenne, dauert sowas mehr als fünf Minuten. Moderne Opern dagegen kenne ich überhaupt nicht. Die scheinen nicht nur mit Todeskämpfen zu enden, sondern auch zu beginnen. Das Gejammer von nebenan hört jedenfalls nicht auf. Dann der Schock. Nun singt auch mein Nachbar. Ich schalte mein Radio ein. Eine Geige weint-und ich habe Madeira für eine fröhliche Insel gehalten.