Carolina - lieber unlogisch
Wenn Frauen unlogisch sind, dann ist sie die Erfinderin dieser Eigenschaft. "Du musst obrigado sagen", ruft sie mir im Vorübergehen in ihrem Hostel zu und bedankt sich bei mir an den folgenden Tagen mit "thank you". Also wechsele ich zum Englischen, worauf sie mit Portugiesisch reagiert. Wieder tagelang.
Nebenbei bringt sie mir auch noch bei, dass ich "obrigado" sagen muss, weil ich keine Frau bin. Da sie eine sei, sei ihr "obrigada" vorbehalten. Das kann ich mir bei meinem ersten Besuch in Funchal merken, obwohl Carolina, so heißt die vermeintliche Erfinderin der Unlogik, bis zu meiner Abreise nur noch Englisch mit mir spricht.
Die Kassiererin im Supermarkt, die auf dem Display durch ihre Brille nur die Summe sieht, die ich bezahlen muss, spricht dagegen immer Portugiesisch, und da ich mir "obrigada" gemerkt habe, freut sie sich wohl heute noch über eine neue Kundin im Supermarkt. Ob sie zum Bekanntenkreis von Carolina gehört, weiß ich nicht. Vermute ich aber. Denn irgendwann antwortet sie mit "obrigado". Im Schaufenster des Supermarktes überzeuge ich mich nach diesem Einkauf davon, dass ich immer noch ein Mann bin. Wer weiß schon, was Carolina so alles mit mir anstellt, während sie mir Nachhilfe in Portugiesisch verspricht, um anschließend Englisch zu sprechen.
Im Zweiten Deutschen Fernsehen wird Anfang Dezember 2018 noch durchgehend Deutsch gesprochen. Ich schalte meinen Fernseher ein, fantastische Bilder fesseln mich an mein Sofa, bis die Reportage über Madeira beendet ist. Unverzüglich buche ich eine Reise, finde im Internet ein Hostel und ahne nicht, dass Carolina auf mich zukommt. Der Zufall sei der Schnittpunkt zweier Notwendigkeiten, hat ein weiser Mann gesagt. Hätte er die vermeintliche Erfinderin der Unlogik schon gekannt, als ihm dieser Satz einfiel - dann: wäre ihm dieser Satz nie eingefallen. Denn diese Frau kann kein Zufall sein.
Geboren ist sie in Santa Cruz. Erzählt sie mir bei meinem dritten Aufenthalt in ihrem Hostel. "Near the airport", sagt sie. Diese Information gebe ich abends an andere Gäste weiter. Eine Niederländerin, die der Unlogik wohl nicht so mächtig ist wie Carolina, fragt mich, ob unsere Gastgeberin in einem Flugzeug zur Welt kam. Das glaube ich nicht. Denn Landungen auf dem Flughafen von Madeira sind zu jener Zeit wegen der Fallwinde noch gefährlich gewesen, und eine Mutter, die solche Kinder wie die vermeintliche Erfinderin der Unlogik bekommt, würde kein Risiko eingehen. Heute gibt es eine neue Landebahn, die ins Meer ragt, aber Carolina lässt sich trotzdem nicht wiederholen.
Also halte ich fest: Carolina ist in Santa Cruz einmalig geboren. In diesem 500 Jahre alten Ort lebt man von der Landwirtschaft und von der Fischerei, einige wenige von touristischen Dienstleistungen - aber nur eine Einwohnerin kommt in dieser Geschichte vor, die mir gelegentlich über die Schulter schaut. Ursprünglich lautet der Beginn dieser Geschichte so: "Sie streichelt den Boden des Hostels nicht mit ihren Füßen, sie zeigt ihm, dass sie da ist." Ein Übersetzungsprogramm macht daraus: "Ela nao acariciou o chao com os pes, ela mostra que ela esta la."
Carola liest diesen Satz und sagt: "I need more sentences." Portugiesisch scheint mir das nicht zu sein. Aber immerhin hält sie es für möglich, dass dieser Satz auf Deutsch ganz gut klingt. Gerade eben hat sie sich noch darüber gefreut, dass ich eine Geschichte schreibe - nun vergisst sie, dass zu mehreren Sätzen in einer Geschichte auch der erste gehört. Was in diesen Augenblicken mit ihrem Gesicht geschieht, lese ich am liebsten von ihren Augen ab, die sich in Sekundenbruchteilen von strahlend schön in skeptisch prüfend wandeln, und nie muss ich lange darauf warten, dass sie sich umdreht und geht, um fröhlich zurück zu kehren.
Wie vor wenigen Sekunden. Sie liest den ersten Satz, also den neuen. "Translate in english", sagt sie. Mache ich. "If Women are illogical, then she is the Inventor of this Trait." Sie zieht ihre Augenbrauen hoch. "Peter, Peter", sagt sie und geht. Ich stecke meine Zigarette wieder an, obwohl sie rauchen für schädlich hält.
Cliente seguinte (II)
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