Sonntag, 20. März 2022

Alltägliches (205)

Laranja Leaks, "Diario de Notícias", 20. 3. 2022
Regierungschef Miguel Albuquerque (Zweiter
von rechts) und andere Großverdiener. 

"Haben Sie mal einen Euro für mich?"

Ich bin gestern Nachmittag erneut dort gewesen, aufgefallen ist mir das nicht: Die "Diario de Notícias" behauptet heute in einer Reportage, in Camera de Lobos nehme die Zahl der Bettler zu. Auf Seite 1 und im Innenteil werden zwei Fotos veröffentlicht, auf denen gebettelt wird. Dabei handelt es sich aber in beiden Fällen um denselben Mann.  Als ich gestern vor einem Café in der Nähe der Kirche gesessen habe, stand dieser Bettler hinter mir. Nach ihm umdrehen musste ich mich nicht. Ich konnte ihn riechen. Später sah ich ihn auch noch an einem Taxistand, wo er die Taxifahrer mit seinen gelallten Sprüchen unterhielt. 

Solche Szenen gehören zum Alltag auf Madeira. Sie häufen sich nicht, die Häufigkeit hängt von der Örtlichkeit ab. Dabei haben es die Bettler vornehmlich auf Touristen abgesehen. Setzt man sich in der City von Funchal vor einem Café an einen Tisch und holt eine Zigarettenschachtel heraus, lassen die Schnorrer nicht lange auf sich warten. Die Augen einiger Bettler in der Altstadt von Funchal sind  sogar schon so sehr geschult, dass sie die Umrisse einer Zigarettenschachtel in einer Hemdtasche erkennen können, bevor man selbst überhaupt ans Rauchen denkt. Wenn man an den Brunnen auf der Avenida do Mar seine Beine ausstreckt, sollte man nichts auf den Rasen legen. Einige Bettler sind nämlich auch raffinierte Diebe. 

Das Verhältnis zwischen Madeirern, die Arbeit haben, und Madeirern, die betteln müssen, dagegen scheint ziemlich entspannt zu sein. Das könnte daran liegen, dass die Arbeitenden schnell zu den Arbeitslosen gehören können. Die "Diario de Notícias" weist ebenfalls heute darauf hin, dass in den vergangenen fünf Jahren 1054 illegale Arbeitsverhältnisse aufgeflogen seien. Über diese Zahl habe ich mich gewundert. Denn: Ich hatte mit über 1000 pro Monat gerechnet. 

Was ich hier schildere, war auch schon vor der Corona-Pandemie so. Damals war ich aber ein Tourist, heute wohne ich hier. Da sieht man mehr. Der Kontrast zwischen Schönheit der Insel und Alltag vieler Menschen, die hier leben, springt mich täglich an. Den Touristinnen und Touristen zuliebe werden auf Madeira immer mehr schöne Ecke mit grässlichen Hotelbauten verschandelt. Manchmal sieht man den Atlantik und die Berge vor lauter Beton schon nicht mehr. Die Personen, die dafür verantwortlich zeichnen, werden heute von der "Diario de Noticias" in einer Karikatur dargestellt. Verlassen können sie sich auf im öffentlichen Dienst Beschäftigte, die im Monat durchschnittlich 767 Euro mehr verdienen als die Beschäftigten im privaten Sektor. Sie bekommen also das Doppelte. Schwarz arbeiten müssen sie auch nicht, deswegen müssen sie auch nicht damit rechnen, eines Tages von der "Diario de Notícias" als Bettler abgelichtet zu werden...  


Freitag, 18. März 2022

Alltägliches (204)

Bitte nicht stören.
Foto: Heinz-Peter Tjaden

Viele Beamte feiern ihn nicht nur heute: der Weltschlaftag

Für viele Beamte in Deutschland dürfte der heutige Tag der höchste Feiertag des Jahres sein. Für viele Beamte auf Madeira auch? Der 18. März ist nämlich Weltschlaftag. Auf Madeira wird dieser Tag von mehreren Organisationen gefeiert. Laut "Jornal da Madeira" soll so "das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung des Schlafes geschärft werden".

Wie bereits angedeutet, muss dieses Bewusstsein bei vielen Beamten nicht mehr geschärft werden, es ist vermutlich bereits reichlich vorhanden, der FC Porto hat dieses Bewusstsein bereits gestern Abend in Lyon geschärft und verpasste wohl auch deswegen auch noch den Rückflug nach Hause, wobei Schlafwagen nach dem Ausscheiden aus der Europa League dem Spielverlauf angemessener gewesen wären.

In meiner Wohngemeinschaft ist Schlaf verpönt. Meine Mitbewohner mögen ihn nicht. Auch die katholische Kirche, die auf Madeira das religiöse Leben bestimmt, kann kein Interesse daran haben, dass irgend jemand das Bewusstsein für die Bedeutung des Schlafes schärft. Denn: Wer schläft, sündigt nicht-und ohne die Sünde wäre diese Glaubensgemeinschaft all ihrer Sinne beraubt. 

Dienstag, 15. März 2022

Alltägliches (203)

"Jornal da 
Madeira",
15. März 2022
Gute Geschäfte bei schlechtem Wetter

Seit dem 11. März 1972 hat Madeira nicht mehr so gefroren wie gestern. In den Bergen liegt sogar Schnee. Im Süden schüttet es wie aus Eimern. Der Atlantik tobt, der Sturm verhindert Flugzeuglandungen. Das "Jornal da Madeira" widmet dem Wetter nicht nur die Titelseite, sondern auch eine Foto-Serie im Inneren, in der man etwas undeutlich zwar, aber immerhin doch noch erahnbar auch unpassierbar gewordene Straßen entdeckt. 

Die Menschen bleiben in ihren Häusern, verkriechen sich in ihren Betten, weil es nur dort warm ist, während Touristinnen und Touristen aus Deutschland ein Taxi nehmen, um sich die weiße Pracht anzusehen, die sie sich jedes Jahr zu Weihnachten vor ihrer eigenen Haustür wünschen. Sonst aber nicht. 

Aber nicht nur Taxifahrerinnen und Taxifahrer profitieren von dem schlechten Wetter, auch ein kleiner, dafür aber etwas dickerer Mann aus Funchal macht gute Geschäfte. Sobald die erste dunkle Wolke am Himmel auftaucht, klappert er die dafür geeigneten Läden ab und legt einen Vorrat an Regenschirmen an. Dann eilt er mit dem Ruf "guarda-chuva" durch die Gassen und verdient an jedem verkauften Regenschirm 100 Prozent. Während alle vom Wetter reden, macht er das Beste daraus...